Vergessene Krisen in Afrika: Humanitärer Helfer im Interview

Für den Report „Breaking the Silence“ spricht David Mutua, CARE Regional Communications Advisor
im östlichen, zentralen und südlichen Afrika, darüber, warum humanitäre Krisen in Afrika unsichtbar
bleiben und was dagegen getan werden kann.

Sind die Medien schuld, dass chronische Krisen in Afrika vergessen werden?  

David Mutua: Es wäre nicht richtig zu sagen, dass Medien schuld daran sind, dass chronische Krisen in Afrika vergessen werden. Hier spielen eine Reihe systemischer Faktoren eine Rolle, darunter Zugang, geopolitische Zusammenhänge, internationale Politik, humanitäre Hilfe und globale Machtstrukturen. Die Medien berichten das, was ihr Publikum am meisten interessiert. Medienhäuser haben drastische Veränderungen durchgemacht, die sich auf den Personalstand und damit auf die Ressourcen auswirken, die für die Krisenberichterstattung eingesetzt werden können. Dennoch können eine stärkere Sensibilisierung und eine nachhaltige Berichterstattung politische Entscheidungsträger:innen und die Öffentlichkeit ermutigen, zu handeln und Lösungen zu unterstützen, um die seit langem bestehenden Probleme in Afrika und anderen Regionen mit ähnlichen Herausforderungen anzugehen. Es ist wichtig, Wege zu finden, das Interesse des Publikums für Krisen zu wecken und somit die Aufmerksamkeit der Medien zu steigern. 

Sie arbeiten schon seit vielen Jahren daran, für CARE über die Situation in afrikanischen Ländern zu berichten. Ist es schwer, für Krisen in afrikanischen Ländern globale Aufmerksamkeit zu erhalten? 

David Mutua: Es ist durch viele Faktoren herausfordernd, globale Aufmerksamkeit zu erhalten. Einer davon ist, dass Medien verzerrt und einseitig berichten. Das zeigt sich daran, dass Krisen in anderen Regionen mehr Sendezeit und Berichterstattung erhalten als solche in Afrika. Dieser Media Bias kann auch den falschen Eindruck erwecken, dass einige der Krisen hoffnungslos sind und kein Ende in Sicht ist. Das führt zur Ermüdung der Spender:innen. Geber schalten gedanklich ab, weil sie davon ausgehen, dass nichts getan werden kann oder, dass Mittel schlecht verwaltet werden, obwohl Organisationen über solide Maßnahmen verfügen, um das zu verhindern. Erschwerter Zugang stellt eine große Herausforderung für Journalistinnen und Journalisten dar, die über eine Krise berichten wollen, es aber nicht können.

„Krisen in den Vordergrund zu rücken, ist eine gemeinsame Anstrengung.“

Was wäre nötig, damit Krisen am afrikanischen Kontinent mehr Aufmerksamkeit in den Medien erhalten? 

David Mutua: Um diese Ziel zu erreichen, ist es notwendig, dass sich die klischeehafte und stereotype Art, wie Geschichten erzählt und verpackt werden, ändert. Dies lässt sich durch eine ausgewogene und nuancierte Berichterstattung erwirken. Auch ist diverses Wissen in den Redaktionen entscheidend. Geschichten aus Afrika werden am besten von denjenigen erzählt, die die Zusammenhänge und Situationen in Afrika verstehen. Medienschaffende, die die Geschichte und die aktuellen Herausforderungen des Kontinents verstehen, sind besser in der Lage, genau und objektiv über die Krisen in der Region zu berichten. Medienvertreter:innen müssen darin geschult werden, wie sie sensibel und genau über Afrika berichten. Dabei können Themen wie die Geschichte und die Politik der afrikanischen Länder behandelt werden, aber auch, wie Krisenberichterstattung Betroffenen gegenüber respektvoll sein kann. Krisen in den Vordergrund zu rücken, ist eine gemeinsame Anstrengung.

Was kann CARE tun, um die Aufmerksamkeit zu erhöhen? 

David Mutua: CARE ermutigt Journalistinnen und Journalisten, umfassendere Themen zu behandeln, auch solche, die oft übersehen werden. Wir unterstützen Medienorganisationen, die vertiefend und investigativ berichten. Wir schaffen Zugang zu Orten, wo wir arbeiten, die schwierig zu erreichen sind. Dazu gehören finanzielle Unterstützung, Hilfe beim Einholen von Genehmigungen und Treffen mit Entscheidungsträger:innen. Wir versuchen die Öffentlichkeit für die Bedeutung von Diversität in den Medien und die Notwendigkeit einer ausgewogeneren Berichterstattung zu sensibilisieren. Durch unsere Social-Media-Kanäle und andere Plattformen verschaffen wir den Stimmen derer Gehör, die von vergessenen Krisen betroffen sind. 

Warum gibt es in Afrika so viele humanitäre Krisen? 

David Mutua: Mehrere Gründe haben zu den vielen humanitären Problemen auf dem Kontinent geführt. Der Klimawandel ist ein Hauptfaktor. Von verheerenden Dürren bis hin zu extremen Überschwemmungen – der Kontinent leidet am meisten unter dem Klimawandel, trägt aber am wenigsten dazu bei. Wirbelstürme haben an Intensität zugenommen, und Plagen biblischen Ausmaßes verwüsten Länder und führen zu Krisen. Zweitens hat die globale Ungleichheit große Auswirkungen auf den Kontinent. Die untergeordnete Rolle Afrikas in den globalen Entscheidungsmechanismen und sein deutlich geringerer Anteil an der internationalen Hilfe erschweren die Bewältigung der Probleme und die Stärkung der Widerstandsfähigkeit gegen humanitäre Krisen. Durch unzureichende Unterstützung haben die afrikanischen Nationen Mühe, dem Kreislauf aus Armut, Konflikten und Katastrophen zu entkommen. Armut ist eine große Herausforderung in Afrika. Millionen Menschen leben unterhalb der internationalen Armutsgrenze von 1,90 Dollar pro Tag. Ungeeignete Regierungssysteme schränken die Fähigkeit ein, wirksam auf humanitäre Krisen zu reagieren. Korruption, mangelnde Transparenz und unzureichende Rechenschaftspflicht behindern die Verteilung von Hilfsgütern und grundlegenden Dienstleistungen an gefährdete Gruppen und verschärfen Probleme. 

Was wird die größte Herausforderung für den Kontinent in den kommenden Jahren sein? 

David Mutua: Ich denke, dass Konflikte, der Klimawandel und die wachsende Ungleichheit zwischen den Besitzenden und den Besitzlosen die größten Herausforderungen der nächsten Jahre sein werden.  

Du bist mit so vielen Krisen konfrontiert. Was gibt dir Zuversicht für deine Arbeit als humanitärer Helfer? 

David Mutua: Es ist sehr inspirierend, mit entschlossenen und engagierten Menschen zusammenzuarbeiten. Die unerschütterliche Widerstands- und Anpassungsfähigkeit, die sowohl die betroffenen Menschen als auch die humanitären Organisationen an den Tag legen, sind ein Leuchtfeuer der Hoffnung und Inspiration. Es ist erfüllend zu sehen, wie sich unsere Arbeit spürbar auswirkt. 

Aus unserer Medienanalyse wissen wir, dass die Berichterstattung über den neuen Barbie-Film fast 300.000 Online-Artikel generierte, während über die humanitäre Situation in Sambia nur 1.371 Mal berichtet wurde. Was sagst du dazu? 

David Mutua: Die einseitige Berichterstattung beeinträchtigt die öffentliche Wahrnehmung, indem sie den Schwerpunkt zu sehr auf Unterhaltung legt und die Bedeutung kritischer globaler Probleme vernachlässigt. Außerdem werden dadurch Bemühungen behindert, dringende soziale und humanitäre Probleme anzugehen. Das richtige Gleichgewicht zwischen Nachrichten und Unterhaltung ist wichtig. 

David Mutua, CARE Regional Communications Advisor in East, Central and Southern Africa

Andrea Barschdorf-Hager in conversation with David Mutua, CARE Regional Communications Advisor in East, Central and Southern Africa, about the new CARE report ‘Breaking the Silence’ on forgotten humanitarian crises, what determines and deserves global attention, why despite their protracted nature many of these crises are undergoing severe changes over time, how local and global actors should interact in response and how to enable affected populations to tell their own story. The "CARE in Action"-Podcast is sponsored by CCREAL.

CARE-Report

Breaking the Silence

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