6 Monate Krieg in der Ukraine: Hinter jeder Tür eine Geschichte

Ich stehe vor einer geschlossenen Tür in einer Notunterkunft im Westen der Ukraine. Ich hebe meine Hand, um zu klopfen, aber ich zögere. Ich brauche noch ein paar Atemzüge und muss mich seelisch vorbereiten. Ich klopfe und trete ein. Eine Mutter sitzt auf einem Bett und hält ihre 2 Jahre alte Tochter im Arm. Durchs Zimmer läuft ein kleiner Spitz, der mich fast umwirft. Wir lachen. Dann schlage ich mein Notizbuch auf und beginne.

Hinter jeder Tür wartet eine Geschichte auf mich. Manchmal kommen die Menschen, mit denen ich rede aus Mariupol, Irpin oder Butscha. Sie erzählen mir von Raketen, die durch Wohnungen fliegen und von Leichen auf der Straße. Sie erzählen mir von wackelnden Fenstern und Häusern wegen der Explosionen. Sie sprechen von Monaten Unterschlupf in dunklen, kalten, schmutzigen Kellern mit Ratten und Insekten, ohne Licht, Wärme, Wasser oder Strom. Ich höre von ihrem Schrecken, ihrer Angst und ihren Traumata. Ich treffe eine Mutter, die auf der Flucht vor Raketen und Bomben ein Kind geboren hat.

Ukraine, Mädchen mit Stofftier, Kristina Ukraine, Mädchen mit Stofftier, Kristina

Viele Geflüchtete konnten nur eine Tasche mitnehmen. Ihre Häuser und ihr gesamter Besitz wurden zerstört. So viel, das sie verloren haben: Freunde, Familienmitglieder, Haustiere und Häuser. Kristina (Foto) und ihr älterer Bruder Sasha (15) sind hier untergekommen. Sasha erzählt mir, dass er gerne malt und dass er seine Bilder verkaufen möchte, um mit dem Geld krebskranken Kindern zu helfen. Er hatte selbst fünf Jahre Krebs.

Ich komme an einer Wand mit Kinderzeichnungen vorbei und bleibe stehen, um sie mir anzuschauen. Auf einem Bild ist ein Engel. Victoria, die Leiterin der Unterkunft, deutet auf eine Zeichnung eines Jeeps im hohen Gras. Sie sagt, dass der Junge, der das gemalt hat, gesehen hat, wie sein Vater erschossen wurde.

Ukraine, Sarah mit Baby Ukraine, Sarah mit Baby

Jeder Mensch hier hat eine Geschichte. Oft ist es sehr schwierig, sie zu hören, aber das ist die Realität dieser Menschen. Die meisten wollen mit mir teilen, was sie erlebt haben. Sie reden über die Schießerei, die Bomben und die Angst. Zum Abschluss reden wir über etwas Gutes oder etwas Lustiges. Ich scherze über mein schlechtes Ukrainisch. Oder ich spiele mit einem Baby. Ich will das Gespräch nicht mit Angst, Wut und Traurigkeit beenden.

Ich möchte mir alle Geschichten anhören. Ich möchte sie in meinem Herzen, aber auch auf Papier mitnehmen und zu Hause weitergeben, denn sie müssen erzählt werden und Gehör finden. Es ist wichtig, das Bewusstsein dafür zu schärfen, was die Menschen tagtäglich erleben, damit wir Unterstützung leisten können, wo sie gebraucht wird. Es geht darum, die Mittel zu beschaffen, um diesen Menschen in Not helfen zu können.

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