„Es sind Menschen, keine Zahlen“

Kommentar

Ich sammle Lebensgeschichten. Berichte über Hunger, Krieg, Konflikte, Katastrophen, Geflüchtete und Leid. Ich sammle sie in bunten Notizbüchern: Blau für die Ukraine, Grün für Mosambik, Orange für den Tschad. Sie sind voll mit den Schrecken der Welt, in der wir leben. Namen, Zitate und Berichte von Augenzeuginnen und Augenzeugen sind darin. Und in fast jedes Notizbuch schreibe ich dieses eine Zitat: „Wenn die Menschen sehen, was hier geschieht, dann wird Hilfe kommen.“

Ich höre es von den Menschen, mit denen ich vor Ort spreche immer wieder. Jedes Mal ist es mit der Hoffnung auf Linderung der Not verbunden. Es ist fast so, als ob ihre Berichte sie künftig vor Bomben, Hunger und Angst schützen könnten. Und ist ihre Hoffnung nicht berechtigt? Sollte nicht schon ein einziger Beitrag über Verlust, Tod und Verzweiflung den Lauf der Dinge ändern? Ich schreibe Bände voll davon.

Laut sein, für jene, die es nicht sein können

Diese Lebensgeschichten sind keine Statistiken. Es sind Menschen mit Gesichtern, die ich nicht vergessen kann. Unterernährte Kinder. Erschöpfte Geflüchtete. Sterbende Menschen. Überlebende, die oft traumatisiert sind. Es ist das, was Maria erlebte, als sie aus dem Sudan in den Tschad floh. „Nachts hören wir das Weinen der Kinder, die noch weinen können. Die Geräusche des Krieges sind verschwunden. Wir sind weiter am Leben. Aber wir haben keine Kraft mehr.“

Ich bin als Krisenreporterin für CARE im Einsatz. Meine Aufgabe ist es, der Welt von diesen Menschen zu berichten. Zu warnen, zu informieren, laut zu sein für jene, die es nicht sein können. Aber was passiert, wenn Worte ihre Kraft verlieren? Wenn Begriffe wie „Tod“, „Hunger“, „Krieg“ und „Verlust“ so oft benutzt werden, dass sie nicht mehr wirken, um Hilfe zu mobilisieren? Es ist schwierig, die Aufmerksamkeit der Medien und der Öffentlichkeit zu erhalten.

Unterfinanziert bedeutet weniger Hilfe

Es wird darüber gesprochen, dass Budgets für humanitäre Hilfe gekürzt werden müssten. Dass Projekte enden müssten, weil die Mittel fehlten. Weniger finanzielle Unterstützung bedeutet, dass Hilfsorganisationen weniger Nothilfe leisten können. Viele merken, dass Spenden schwinden. Auch das sind für mich nicht nur Zahlen. Ich denke an die Menschen, die darauf hoffen und vertrauen, dass es Hilfe für sie geben wird.

Es schmerzt mich zu sehen, dass auch internationale Hilfseinsätze in eine Krise geraten sind. „Unterfinanziert“ heißt das. Manchmal sind sie zu 50, oft zu 70, häufig zu 80 Prozent unterfinanziert. Es bedeutet nicht weniger, als dass Mütter, Kinder, Familien und Großeltern keine Hilfe erhalten, während Krisen, Kriege und Katastrophen um sie herum eskalieren.

In einer Welt voller schlechter Nachrichten stellt sich leicht ein Gefühl der Überforderung ein. Wenn Veränderung unmöglich erscheint, hören viele Menschen auf, sich mit Krisen zu befassen. Aber wir dürfen nicht wegsehen! Organisationen wie CARE bleiben trotz aller Kürzungen und Widrigkeiten vor Ort und tun, was sie können, um die Menschen nicht im Stich zu lassen. Aber wir können das nicht alleine schaffen. Wir wollen weiter Nothilfe leisten für jene, deren Überleben davon abhängt. Dafür brauchen wir Aufmerksamkeit – und Ihre Unterstützung! Denn sollten diese Lebensgeschichten nicht Anlass genug sein, um etwas zum Besseren zu ändern?

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Sarah Easter (r.) spricht in der umkämpften Stadt Cherson mit Überlebenden des Krieges. Foto: CARE

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