Ukraine: Egal was passiert – Lyudmyla bleibt, um zu helfen

Seit mehr als 50 Tagen herrscht in der Ukraine Krieg. Mehr als fünf Millionen Menschen sind über die Grenze in Nachbarländer geflohen. Aber viele bleiben zurück, weil sie nicht fliehen können: Ältere, Menschen mit Behinderungen, Kranke oder die, die zu schwach sind, die Reise auf sich zu nehmen. Und es bleiben Menschen wie die 38-jährige Lyudmyla Yankina.

Sie lebt in einer Notunterkunft in einem Keller in Kiew, der Hauptstadt der Ukraine. Lyudmyla musste bereits 2014 aus der Donbass-Region fliehen. 2022 sagt sie: „Es reicht. Ich renne nicht wieder weg. Ich bleibe hier und helfe den Menschen.“ Sie ist ausgebildete Krankenschwester und hat es sich nun zur Aufgabe gemacht, den Menschen in von der Versorgung abgeschnittenen Gebieten zu helfen.

Lyudmyla Yankina vor Bücherregal, Ukraine Lyudmyla Yankina vor Bücherregal, Ukraine

Eine One-Woman-Hilfsorganisation

Lyudmyla fährt jeden Tag 100 bis 150 Kilometer, um die Menschen zu erreichen, die sonst von niemandem versorgt werden. Sie transportiert Nahrungsmittel, Medikamente und andere dringend benötigte Hilfsgüter. „Ich habe 200 Personen, die ich zu Hause besuche, da sie regelmäßig Medikamente benötigen. Darunter sind sehr viele ältere Menschen, die allein sind und niemanden haben. Viele haben auch Hunger. Ich habe eine 90-jährige Frau besucht, die seit einer Woche nichts gegessen hat. Unter diesen Menschen sind auch einige krebskrank. Für sie ist es lebenswichtig ist, dass sie ihre Medikamente bekommen“, so Lyudmyla.

Anfangs hat sie das alles mit ihrem eigenen Geld bezahlt. Als ihr das Geld ausging, veröffentlichte Lyudmyla auf Facebook einen Hilferuf. Inzwischen hat sie viele Spenden bekommen. Jedes Mal, wenn eine Spende ankommt, rechnet sie in ihrem Kopf: „0,25 Euro sind ein Butterbrot. 5 Euro bringen mich ein paar Kilometer mit dem Auto weiter.“

Sie arbeitet auch mit Restaurants in Kiew zusammen und liefert mit anderen Freiwilligen bis zu 2.000 Mahlzeiten am Tag aus. „Wir helfen denen, die überlebt haben. Die Menschen fangen an zu weinen, wenn wir ihnen eine heiße Mahlzeit bringen, da sie nichts mehr haben.“ In Kiew selbst hat sie bereits knapp 400 Menschen geholfen und in den Dörfern und Vororten sind es bereits über 1.000.

Lyudmyla Yankina im Interview mit Sarah Easter Lyudmyla Yankina im Interview mit Sarah Easter

Viele der Geflohenen kontaktieren Lyudmyla und berichten, dass sie schon mehrere Tage keinen Kontakt mehr zu ihren Liebsten hatten. Ihnen wurden entweder ihre Handys weggenommen, oder sie leben in Gebieten, wo es keinen Strom oder eine Netzverbindung gibt. Eine junge Frau schickte ihr die letzten bekannten Koordinaten ihrer Mutter. Lyudmyla konnte vier Tage lang nicht zu dem entsprechenden Haus fahren, da jeder Zugangsweg voller Minen war. Als sie sie fand, nahm Lyudmyla direkt ein Video für die Tochter auf. „Ich bin die einzige Brücke zwischen Familien.“

Lyudmyla-Yankina schreibend, Ukraine Lyudmyla-Yankina schreibend, Ukraine

Letzte Würde für die Toten

Unterwegs sieht Lyudmyla immer wieder die Auswirkungen des Krieges. „Wir sind einmal an einem Auto vorbeigefahren, in dem noch die Leichen mehrerer Kinder lagen. Jedes Mal, wenn ich ein einstürzendes Gebäude sehe, fange ich an zu weinen, weil ich weiß, wie viele der Bewohner und Bewohnerinnen dort noch unter den Trümmern sind“, erzählt Lyudmyla.

Sie hat 1.000 Leichensäcke gekauft, um die Toten in Würde zu beerdigen. Friedhöfe waren bis vor kurzem unter Beschuss. Fabriken, die Särge hergestellt haben, sind zerstört. Jeden Tag schreibt sie in ihrem Notizbuch die Namen derjenigen, die sie finden will und denen sie Medikamente oder Essen bringt. „Neben jeden Menschen, den ich finde, schreibe ich ‚Überlebt‘. Ich brauche das, damit ich sehe, dass heute etwas Gutes passiert ist und dass diese Person keinen Leichensack braucht.“

Lyudmyla geht jeden Tag in die umkämpften Gebiete. Jeden Tag ist sie in Lebensgefahr. „Es war meine Entscheidung, zu bleiben. Als Krankenschwester habe ich Fähigkeiten, die gebraucht werden. Meine Freunde sagen mir, dass ich mich in Sicherheit bringen soll, aber ich kann mir nicht vorstellen, diese Menschen zurückzulassen. Wenn man Personen findet, die seit einer Woche hungrig sind, dann kann ich ihnen helfen“, berichtet Lyudmyla.

Was treibt Lyudmyla an? „Ich bin keine Heldin. Es ist kein Abenteuer. Ich habe immer Angst. Jeder Tag könnte mein letzter sein. Wir brauchen Hilfe. Wir sterben hier“, so Lyudmyla. Sie ist eine von vielen Ukrainerinnen und Ukrainern, die als Freiwillige jeden Tag vielen betroffenen Menschen helfen. Sie hofft, dass dieser starke Zusammenhalt auch über den Krieg hinweg bestehen bleibt. „Für die Zukunft wünsche ich mir Frieden. Für mich selbst wünsche ich mir, dass ich irgendwann wieder ein eigenes Zuhause habe.“

So hilft CARE: Gemeinsam mit Partnerorganisationen, unterstützt CARE geflüchtete Menschen in der Ukraine und den Nachbarländern. Freiwillige wie Lyudmyla und kleinere lokale Initiativen erhalten finanzielle Unterstützung, um flexibel vor Ort helfen zu können. Zudem stellt CARE Unterkünfte und sichere Räume für Frauen und Familien bereit, verteilt Nahrungsmittel, Wasser, Hygieneartikel und leistet psychosoziale Unterstützung und Bargeldhilfe.

Unterstützen Sie die CARE-Nothilfe in der Ukraine mit Ihrer Spende!

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